Im neuen Film von Lynne Ramsay spielt Joaquin Phoenix den Auftragskiller Joe, welcher darauf spezialisiert ist, entführte Personen zurückzubringen. Joe ist durch und durch gebrochen, als Kriegsveteran und ehemaliger FBI-Agent hat er so ziemlich alles gesehen, was unsere Welt an Grausamkeiten zu bieten hat, schon in seiner Kindheit wurde er selbst Opfer von häuslicher Gewalt. Diese Gebrochenheit zeigt Joe sowohl durch sein Äußeres, als auch durch sein Verhalten, ständig ist er abwesend und hat mit Halluzinationen aus seiner Vergangenheit zu kämpfen. Sein Körper und sein Geist sind mit Narben übersäht und er verbringt sein Leben komplett im Schatten. Dabei kümmert er sich rührend um seine Mutter. Als der Auftrag, die junge Tochter eines Senators zu finden, schiefgeht, hält der Wahnsinn endgültig Einzug.
Bei ‚You were never really here‘ handelt es sich um einen außergewöhnlich ruhigen und intensiven Thriller, der bestimmt nicht für jedermann gedacht ist. Hier darf kein bombastisches Blockbuster-Kino erwartet werden und auch kein actiongeladener Thriller alá ’96 Hours‘, es steht vor allem der Charakter Joe im Mittelpunkt. Dabei geht es nicht darum, dass der Zuschauer Genugtuung aufgrund der Gewalt am „Bösewicht“ erhält. Die Gewalt selbst wird fast nie direkt gezeigt, meistens wird kurz davor weggeblendet oder kurz danach aufgeblendet. Brutales wird nur direkt gezeigt, wenn es im weiteren Handlungsverlauf wichtig ist. Den ganzen Film über wirkt es, als würden wir uns direkt im Kopf von Joe befinden. Wir erleben seine Halluzinationen mit, sollen seinen Schmerz fühlen und sehen die Geschichte manchmal sogar aus seiner Perspektive. Joaquin Phoenix liefert dabei wieder mal eine absolute Glanzperformance ab, selten hat man einen so differenziert dargestellten Antihelden auf der Leinwand gesehen. Er weiß jede Sekunde zu überzeugen, niemals spielt er drüber oder drunter, sein Schauspiel ist absolut perfekt auf seinen Charakter abgestimmt. Er lebt Joe, welcher jeden Moment den endgültigen Entschluss zum Suizid treffen könnte.
Die äußerst talentierte Regisseurin, welche auch das Drehbuch geschrieben hat, zeigt hier atemberaubend ihr Können. Das Geschehen soll klar eingefangen werden, dabei jedoch nicht zu viel zeigen, damit die Spannung konstant aufrechterhalten werden kann. Man weiß nie genau, was als nächstes passiert. Dabei werden jedoch keine Nerven zerfetzt, vielmehr entsteht die Spannung durch die ungewöhnliche Erzählart und durch den facettenreichen Joe. Man ist ganz nah dran, die Kamera wird ruhig geführt, oder hält auch mal ganz lange drauf. Generell handelt es sich um eine außergewöhnliche Geschichte, welche man so noch nicht gesehen hat. Dabei wird auf jegliche Hollywood-Klischees verzichtet – oft erwischt man sich selbst dabei, wie man sich die weitere Handlung nach Standard-Hollywood-Kost ausmalt, nur um kurz darauf von den weiteren Geschehnissen überrascht zu werden. Wenn Joe zum Beispiel über einem zu Boden gegangenen Gegenspieler steht, wartet man als Zuschauer darauf, dass er diesen gnadenlos und brutal hinrichtet, dann kommt es aber doch ganz anders. Musik wird dabei präzise, aber selten eingesetzt und geht von treibenden Synthesizerrythmen über ausgewählte Musikstücke, bis hin zu verstörenden Geräuschkulissen, welche den Wahnsinn und die Verzweiflung in Joe’s Kopf vermitteln.
Die Effekte sind handgemacht und genau deswegen realistisch, alles wird geradlinig und direkt erzählt und die kurze Laufzeit von 90 Minuten wird hier perfekt ausgenutzt. Auch wenn der Film anfangs etwas behebig startet, wirkt er zu keiner Sekunde gestreckt.
Fazit:
Faszinierendes, fast arthousiges und brutales Thrillerdrama, mit einer atemberaubenden Performance von Joaquin Phoenix und einer originellen Geschichte, die aber nur sehr langsam in die Gänge kommt.
Pressematerial ist Eigentum der Constantin Film GmbH – Bildquelle: teaser-trailer.com
Poster: © 2018 Constantin Film
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