Regisseur Sam Mendes dürfte wohl so ziemlich jedem Filmfan ein Begriff sein, seine Vita besteht aus großartigen Werken wie ‚American Beauty‘, ‚Jarhead‘ und ‚Skyfall‘. Nach seinem eher gemischt aufgenommenen, zweiten James Bond Ableger ‚Spectre‘ ist es lange ruhig um ihn geworden. Jetzt versucht er, sich mit einem ganz besonderen Erlebnis zurück auf die Leinwände zu katapultieren, wofür er prompt den Golden Globe für die beste Regie erhalten hat. Auf dem Papier liest sich ‚1917‘ wie die ultimative Regie-Challenge, Mendes will nämlich sein Kriegsepos als einen einzigen, langen Shot präsentieren. Natürlich gibt es einige Schnitte (die meisten Takes dauern um die 8 Minuten), diese werden jedoch geschickt kaschiert. ‚1917‘ versetzt uns in das titelgebende Jahr, in welchem der erste Weltkrieg wütet. Die beiden britischen Lance Corporals Will Schofield und Tom Blake sind die letzte Hoffnung für die 1.600 Männer des zweiten Bataillons des Devonshire Regiments. Beim kurz bevorstehenden, geheimen Angriff der Briten auf die Deutschen handelt es sich um eine Falle, was den sicheren Tod für die Angreifer bedeuten würde. Zwischen dem Trupp und der rettenden Information befindet sich jedoch hochgefährliches Kriegsgebiet, dass sogenannte Niemandsland zwischen den beiden Schützengräben. Also werden die beiden Männer entsandt, um die Nachricht persönlich und versteckt zu überbringen. Somit begleiten wir Schofield und Blake nahezu in Echtzeit bei ihrer Reise über die vom Krieg gezeichneten Landschaften der Zerstörung.
Das Kinopublikum soll sich fühlen, als wäre es mitten im Geschehen und ein immersiveres Kriegsfilm-Erlebnis gab es wohl schon lange nicht mehr. Da wir so ziemlich jeden Schritt der beiden Protagonisten begleiten, wachsen diese einem ans Herz. Trotz kaum vorhandener Hintergrundinformationen zu den Charakteren. Die unglaublich pompösen, realistisch wirkenden und detailliert gestalteten Sets tragen ebenfalls ihren Teil dazu bei. Durch die mit Wasser überfluteten und mit Leichen übersäten Schützengräben und Bombeneinschlagslöcher kommt gelegentlich sogar leichte Horroratmosphäre auf und sorgt dafür, dass man sich vor Anspannung in den Kinositz krallt. Anders als bei so manchem Antikriegsfilm halten sich die Gewaltspitzen allerdings im Rahmen, der Fokus liegt vielmehr auf der Trostlosigkeit und dem Chaos, welches mit den Ereignissen einhergeht. Ähnlich ist allerdings auch schon Christopher Nolan mit ‚Dunkirk‘ an das Thema Krieg herangegangen, bei welchem ich die Spannungsmomente und die Immersion noch wesentlich stärker empfand. Allgemein muss sich ‚1917‘ den Vergleich zu Nolans Meisterwerk immer wieder gefallen lassen, denn auch hier waren wir trotz der unterschiedlichen Handlungsstränge immer mitten im Geschehen.
Die Story ist der wohl größte Schwachpunkt an Mendes Low-Key-Spektakel, hier bewegt man sich tatsächlich im Bereich des absoluten Minimums. Mehr Geschichte als anfangs beschrieben gibt es eigentlich nicht. Es geht wirklich rein um die Reise von A nach B, nicht mehr und nicht weniger. Da wäre definitiv mehr drin gewesen. Zum einen hat dies den Vorteil, dass man komplett auf unnötige Belehrungen oder Exposition verzichtet, es kratzt jedoch trotzdem sehr stark am Gesamtbild und wirkt dem erhofften Immersionseffekt entgegen, da einfach ein größerer Rahmen fehlt. Dies zährt schließlich auch geringfügig am Pacing, da man gelegentlich fast zum Stillstand kommt, die Echtzeit-Herausforderung lässt jedoch anderes gar nicht zu. Daher hängt so ziemlich alles an den beiden Hauptdarstellern. George MacKay und Dean-Charles Chapman meistern ihre Aufgabe allerdings bravourös. Ihre Emotionen wirken zu jedem Moment echt und authentisch. Bei so mancher gigantischen Einstellungen hat man sogar trotz Pannen und ungeplanten Vorkommnissen weitergedreht, da sich die Darsteller nicht aus der Ruhe bringen ließen und beinhart weitergemacht haben. Die Zusammenstöße mit den losstürmenden Soldaten, welche wir schon aus dem Trailer kennen, waren nämlich nicht geplant, MacKay ist trotz geplanter Explosionen einfach weitergelaufen. Den Trailer kann man sich hier ausnahmsweise mal getrost ansehen, denn der macht Lust auf mehr.
Das Roger Deakins Kameraarbeit über jeden Zweifel erhaben ist, muss ich wohl nur mehr kurz anschneiden. Hierzu empfehle ich im Nachhinein den Making-Of-Clip, welcher auf Youtube zu finden ist. Mit welch handwerklichem Geschick Deakins hier vorgegangen ist und die Szenen durchchoreografiert hat, lässt die Augen eines jeden Cineasten funkeln. Da wird die Kamera an bereits vorbeigegangene Statisten weitergegeben oder zwischendurch mal auf ein Motorrad geschnallt, phänomenal! ‚1917‘ ist also tatsächlich der Regieknaller geworden, denn sich alle erhofft haben, die storytechnischen Schwächen dürfen jedoch keinesfalls außer Acht gelassen werden. Trotz der bombastischen Szenen, bei welchen wir uns so nah dran fühlen, wie selten zuvor, hält sich meine Lust auf einen zweiten Durchgang in Grenzen. Meine Empfehlung ist es, den Film auf der größtmöglichen Leinwand zu sehen, solange dies noch möglich ist. Im Heimkino dürfte nämlich einiges vom Immersionseffekt verpuffen. So groß der Film jetzt bei den verschiedenen Awardshows gehandelt wird, so schnell wird der Film aus der allgemeinen Wahrnehmung auch wieder verschwinden, ähnlich wie es zum Beispiel schon bei ‚The Revenant‘ der Fall war.
Fazit
Wir begleiten in Echtzeit zwei Männer im ersten Weltkrieg, welche auf eine todesmutige Reise hinter die feindlichen Linien entsandt werden, um 1.600 Männern das Leben zu retten, welche drohen, in einen Hinterhalt zu stürmen. ‚1917‘ ist nicht mehr und nicht weniger, im guten sowie im schlechten Sinne. Das Gimmick, dass der Film als einziger One-Shot ohne sichtbare Schnitte konzipiert wurde, hebt den regietechnischen Anspruch in immense Höhen, jedoch reicht es nicht, um das komplette Kriegsepos zu tragen. So gibt es den ein oder anderen Hänger und die mehr als dünner Story hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Für die meisten wird Sam Mendes neuestes Machwerk daher zwar ein grandioses, einmaliges Kinoerlebnis sein, der sehr niedrige Wiedersehwert könnte jedoch dazu führen, dass man in ein paar Jahren kaum noch über den Film spricht. Damit beziehe ich mich allerdings nur auf die Langzeitwirkung, von mir gibt es für dieses nervenzerfetzende, aber gleichzeitig so ruhige Regie-Meisterwerk eine absolute Empfehlung. Unbedingt im Kino genießen, damit ‚1917‘ die volle, immersive Wirkung entfalten kann!
Kinostart: 16.01.2020
Pressematerial zur Verfügung gestellt von Universal Pictures International Austria
Poster: © 2020 Universal Pictures International Austria
Kommentar verfassen