Der schwarze Diamant (Uncut Gems) – Review

Howard Ratner ist der Inbegriff eines Größenwahnsinnigen, dabei verkauft er einfach nur teuren Schmuck und Uhren. Woran das liegt, erfahren wir Stück für Stück im brillanten, neuen Thriller der Safdie Brüder, nachdem die Zwei schon zuvor unter anderem mit ‚Good Time‘ überraschen und mitreißen konnten. Schon da haben sie unter Beweis gestellt, dass sie ein unglaubliches Gefühl für düstere, bösartige, aber gleichzeitig realistische Geschichten mit Neonanstrich und unerwarteten Darstellern haben. Mit ‚Uncut Gems‘ drehen sie den Stresslevel sowohl für ihren Hauptdarsteller und auch für ihre Zuseher dermaßen auf Anschlag, dass man den Fluchtreflex förmlich im Nacken spüren kann. Howard besitzt einen kleinen, aber angesehenen Schmuckladen in New York, über welchen er nicht nur legale Ware an seine wohlhabenden Kunden bringt. Aus Howard selbst wird man zu Beginn nicht ganz schlau. So wirkt er leicht eingeschüchtert und hat keinesfalls ein respekteinflößendes Auftreten. Sofort sieht man ihm an, dass er ein absoluter Blender ist, auf welchem Level er dabei jedoch agiert, muss man im Verlauf der Geschichte schmerzhaft miterleben. Er wird nämlich nicht müde, sich mit seiner vor Frechheit nur so strotzenden Art von einem brandgefährlichen Fettnäpfchen ins Nächste zu manövrieren, bis der Strudel der Selbstüberschätzung und des Wahnsinns beim Zusehen fast schon physische Schmerzen verursacht. Als ein nahezu magisch anmutender Opal in seinem Laden ankommt, gibt es für den spielsüchtigen, bis über beide Ohren verschuldeten Ganoven überhaupt kein Halten mehr.

Die Rolle von Howard übernimmt…Trommelwirbel…Adam Sandler und wie er in Paul Thomas Andersons ‚Punch-Drunk Love‘ schon gezeigt hat, hat der Mann schauspielerisch richtig was auf den Kasten. Selbst wenn er sich wie hier komplett aus seiner Komfortzone raus wagt, die Oscarnominierung hätte er sich hiermit tatsächlich verdient. Seine ekelhafte Rolle hat eine fast schon hypnotisierende Wirkung. So sehr es auch schmerzt und so sehr man selbst unter Stress gesetzt wird, gebannt will man wissen, wie es mit dem Egozentriker weitergeht. Allgemein gibt es beim Casting absolut nichts zu bemäkeln. Lakeith Stanfield als Gangster-Promikontakt Demany, Neuentdeckung Julia Fox als Howards Angestellte Julia, Idina Menzel als Howards Ehefrau Dina oder NBA Star Kevin Garnett, der sich hier selbst spielt, sogar jeder einzelne der teils skurrilen Geldeintreiber fügt sich perfekt ins Gesamtbild des nervenzerfetzenden Gangster-Thrillers ein. Inszenatorisch könnt ihr euch auf einen der Stress induzierendsten Erlebnisse einstellen, die ihr je am eigenen Leib durch einen Film erfahren durftet. Eines der eindrucksvollsten Beispiele ist eine Szene, bei welcher Howard einfach nur mit seiner Familie im Schultheater sitzt und auf den Auftritt seiner Tochter wartet. Alles zuvor Geschehene rückt den Fokus vollständig auf Howards Handy, wie er der Panik nahe eine SMS nach der anderen ins Display hämmert. Der Stresslevel, der durch das Sounddesign, den Schnitt und den Gesprächen der Familie in so einer harmlosen Situation auf den Zuseher überspringt, ist einfach nur sagenhaft. Und dabei wird es stetig schlimmer. Lediglich im Mittelteil verläuft man sich ein wenig und die Handlung wirkt etwas verschleppt.

Meine Lobeshymne will allerdings nicht ohne einem großen Aber daherkommen. ‚Uncut Gems‘ ist nämlich ein durch und durch unangenehmer Film, der einem einige der schlimmsten Charakterzüge und Abgründe des Menschen vor Augen führt und damit mit einem den Boden aufwischt. Wenn ihr mit einer derart negativen Stimmung nichts anfangen könnt, könnte euch ‚Uncut Gems‘ sogar nerven, was der Film natürlich bewusst heraufprovoziert. Den unglaublichen Sog kann man ihm allerdings nicht absprechen. Thriller-Fans können sich auf das bisher eindrucksvollste Filmerlebnis des noch sehr jungen Jahres freuen, es ist tatsächliche eine Schande, dass es scheinbar nicht für eine Kinoauswertung gereicht hat. Lasst euch diesen bösartigen Nervenzieher auf keinen Fall entgehen, ab morgen schon bei euch auf Netflix!

Fazit

Josh und Benny Safdie, diese zwei Namen solltet ihr unbedingt in eure Liste der angehenden Top-Regisseure aufnehmen, was die Zwei nämlich mit ‚Uncut Gems‘ abfeuern, habe ich so in der Form noch nicht erlebt. Sie schaffen es ein derartiges Alltagsstress-Klima auf den Zuseher zu projizieren, dass man fast nicht mehr bei dem zuschauen kann, was der schmierige Juwelier da auf der Leinwand abzieht. Er würde seine Seele beim Teufel verwetten, wenn er die Chance dazu hätte. Adam Sandler haut einem mit seiner Performance förmlich aus den Socken. Man muss ihm für den Mut, den er wohl aufbringen musste, sich derart aus seiner Komfortzone zu wagen, ordentlich Tribut zollen. Ob ihr’s glaubt oder nicht, Sandler kann nämlich tatsächlich schauspielern, dass einem mit diesem meisterhaft inszenierten Sog des Wahnwitzes mit ganz eigenem Synthie-Trance-Flair angst und bange wird. Seit aber gewarnt, ein derartiges Erlebnis sucht bestimmt nicht jeder und so nehme ich es auch keinem Übel, wenn man genervt aufgeben muss. So soll es nämlich sein, ekelhaft grandios!

Netflix-Start: 31.01.2020

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Pressematerial zur Verfügung gestellt von Netflix
Poster: © 2020 Netflix

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