The Irishman – Review

Einer der größten Regisseure unserer Zeit präsentiert uns mit ‚The Irishman‘ sein nächstes, großes Mafiaepos. Wir begleiten den titelgebenden Iren Frank Sheeran sein ganzes Erwachsenenleben über, von seinen ersten Kontakten mit der New Yorker Mafia, über seine Zeit als Jimmy Hoffas Schatten, bis hin zum einsamen Lebensabend im Altersheim. 3 1/2 Stunden Filmkunst in Perfektion, die aber vorab niemand finanzieren wollte, weshalb Scorsese einen Deal mit Netflix einging. Gerade mal zwei Wochen haben wir Zeit, das überlange Werk im Kino zusehen. Ab 28.11. kann man ihn schon beim Streamingriesen auf die heimischen Geräte sehen. Ob Cineasten und Filmfans sich das Epos zu Gemüte führen werden, steht vermutlich nicht zur Diskussion. Vielmehr stellt sich die Frage, ob man sich dafür 210 Minuten ohne Unterbrechung ins Kino setzen soll. Meine Empfehlung ist ganz klar „ab ins Kino!“. Allein um den Filmstudios zu signalisieren, dass auch solche Werke ihren Platz in jedem Kino haben sollten. Der unglaubliche Erfolg von ‚Joker‘ und ‚Parasite‘ hat gezeigt, dass ein allgemeines Interesse für besondere, ganz eigene, aber gerade dadurch originelle Geschichten da ist. Wenn man allerdings den Weg ins Kino wagt, muss man sich auf ein langes, kräftezehrendes Erlebnis einstellen. Die komplette Laufzeit über wird man mit Informationen nur so bombardiert, sei es durch De Niros Off-Stimme oder durch zusätzliche, kurze Texteinblendungen. Jede Szene bekommt Zeit und Raum zum Atmen. Lange Einstellungen und Kamerafahrten fangen jede einzelne der verschiedenen Epochen perfekt ein. Die Liebe zum Detail und für eine authentische Darstellung ist jederzeit klar zu erkennen.

Die Darstellerriege liest sich wie in einem Traum. Robert De Niro, Al Pacino und endlich wieder mal Joe Pesci sogar gemeinsam auf der Leinwand und jeder der gealterten Legenden hat nun endlich wieder richtig was zu tun. Robert De Niro ist der eher zurückhaltende Star des Films. Joe Pesci mimt wie immer einen eiskalten Mafiosi, welcher mit Sympathie lockt, aber jeden Moment explodieren könnte. Jimmy Hoffa wird von Al Pacino dargestellt und seine Rolle macht wohl am meisten Spaß. Seine verschrobene, zu Schimpftiraden neigende, überhebliche Art, passt perfekt zu Pacino. Alle Leben ihre Charaktere und lassen das Gezeigte oft sogar dokumentarisch wirken. Aber all das kennen wir bereits von Scorsese. Da die komplette Handlung über mehrere Zeitebenen stattfindet, verjüngt der Regisseur seine Darsteller mittels CGI-Deaging und das sieht tatsächlich phänomenal aus. Zu keiner Sekunde war ich abgelenkt oder hätte gar nur einen Hauch von CGI bemerkt, zumindest was das Gesicht der Schauspieler betrifft. De Niro bekommt nämlich häufiger auch körperlich was zu tun und selbst wenn er nur bei seiner Auslieferungstätigkeit um Lastwägen herumspaziert, sieht man seinem Körper das Alter deutlich an. Am deutlichsten sieht man es aber in einer Szene, in welcher De Niro auf jemanden einprügelt, der hilflos am Boden liegt. Die eingeschränkten Schlagbewegungen fühlen sich einfach nicht richtig an, allerdings fügt sich die Verwendung der Computereffekte den restlichen Film über nahtlos in das Geschehen ein.

Die Story selbst ist es definitiv wert, erzählt zu werden, da vor allem das ungeklärte Schicksal Hoffas eine große Rolle spielt und für Spannung sorgt. Lediglich mit der überbordenden Länge meint es der Regisseur zu gut, da er zu vielen eher unbedeutenden Szenen zu viel Platz einräumt. Gerade im Mittelteil wird dies spürbar. Immer wieder verliert er sich in seinen Szenen, jede Minute weniger hätte hier gutgetan. Trotzdem kann man die Augen nicht von der Leinwand abwenden und man genießt irgendwie jede Sekunde. Die Inszenierung entwickelt einen Sog, wie es nur Scorsese schaffen kann. Also bin ich hier eher zwiegespalten, da sich die Laufzeit zu einem Kraftakt für den Zuseher entwickelt, aber das Gezeigte doch so sehenswert ist. In zwei bis drei Häppchen wäre das Werk definitiv leichter zu konsumieren. Daher kann ich den Kinobesuch nur jedem empfehlen, der für die Mafia-Thematik und die ruhige Inszenierung offen ist. Interessierte werden den Film als langes, aber rundum gelungenes Meisterwerk empfinden. Nicht so Interessierten wird zwar die meisterhafte Inszenierung auffallen, für viele werden es aber 210 Minuten sein, in welchen sich alte, grummelige Männer unterhalten. Auch sollte man keinesfalls einen Rausch wie in ‚Wolf of Wall Street‘ erwarten, sogar ganz im Gegenteil. Hier geht es nicht um das Mafia-Leben in Saus und Braus, sondern um den ruhigen, kalten und kalkulierten Frank Sheeran. Eines ist aber klar. Den Film kann man entweder als Meisterwerk empfinden oder zumindest als ein solches wertschätzen, selbst wenn der Stoff nicht den eigenen Geschmack trifft. Ein ganz großes und gleichzeitig in dessen Inszenierung so kleines Mafia-Epos.

Fazit:

Ein 3 1/2 stündiges Mafia-Drama, mit welchem Altmeister Scorsese nochmal in die Tiefen des Mobs abtaucht, diesmal aber auf ungewohnte Art und Weise. Im Fokus steht nämlich nicht das Leben in Saus und Braus, sondern das ruhige, brutale Leben des Iren Frank Sheeran. Die Handschrift des Regisseurs ist trotzdem zu jeder Sekunde zu spüren und so dürfen wir uns auf ganz große Filmkunst freuen. Der Stoff ist jedoch sehr trocken und die Laufzeit äußerst lange. Ein Besuch im Kino lohnt sich nur, wenn man mit der Thematik auch wirklich etwas anfangen kann, sonst lieber in Häppchen auf der Couch auf Netflix. Man wird nämlich derart mit Informationen und Namen und Ereignissen bombardiert, dass vieles droht in die Belanglosigkeit abzurutschen. Die Story weiß trotzdem zu fesseln und auch schauspielerisch liefert man mit De Niro, Pacino und Pesci Darsteller der höchsten Güte ab, welche dazu noch endlich wieder mal genug Raum bekommen, um ganz groß aufzuspielen. Eines sollte man sich aber bewusst sein. ‚The Irishman‘ ist kein ‚Wolf of Wall Street‘, sondern ein ruhiges, trockenes Mafiaepos.

Kinostart: 14.11.2019

Start auf Netflix: 27.11.2019

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Pressematerial zur Verfügung gestellt vom Filmladen Filmverleih
Poster: © 2019 Netflix

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