Beau Is Afraid – Review

Einer der wenigen, aktuell ganz großen Horror-Regisseure beschenkt uns im kommenden Monat wieder mit einem neuen Werk. Dabei handelt es sich um niemand geringeren als Ari Aster. Nach dem brillanten „Hereditary“ und dem eigensinnigen „Midsommar“, überrascht er das Kinopublikum mit „Beau Is Afraid“. Der hat zwar schon Horrorelemente, aber übetrifft in seiner Eigensinnigkeit und seinen Motiven „Midsommar“ nochmal bei weitem. Dabei schickt er Joaquin Phoenix auf eine Odyssee, wie ihr sie selten erlebt hab. Ich durfte den Film bereits vor dem Kinostart im Mai für euch sehen und werde für euch aufdröseln, ob Aster seinen Siegeszug fortführt, oder ob er diesmal über das Ziel hinausgeschossen ist. Gehen wir’s an.

Worum geht es in „Beau Is Afraid“? Beau ist ein von Angststörungen geplagter Mann in seinen 40ern. Nach seinem regulären Besuch beim Psychologen steht ein ganz besonderer Familientag an, bei dem er zu seiner Mutter reisen muss. Was ihn vor jede Menge unlösbare Probleme stellt, die mit seinen Ängsten einhergehen. Diese stammen nicht von ungefähr, denn Beaus Welt ist ein absoluter Albtraum. Trotzdem macht er sich auf, um seiner Mutter eine Freude zu machen. Und was Regisseur Ari Aster da auf seinen Protagonisten und sein Publikum loslässt, habt ihr in so einer Form noch nicht erlebt. Sein neuester Streich ist nämlich kein reinrassiger Horrorfilm. Vielmehr handelt es sich bei Beaus Reise um eine schwarze Komödie der speziellen Art. Viel düsterer und psychologischer kann es kaum werden. Dazu braucht er keine Dämonen und dunkle Sets, sondern der Wahnsinn und Horror spielt sich am helllichten Tag ab.

Erneut trifft Aster den aktuellen Zeitgeist, wie er vor allem aktuell in den USA von statten geht, perfekt. Als hätte er es kommen sehen. Hat er in „Midsommar“ noch die momentan boomende Selbstfindungskultur auf die Spitze getrieben und dazu jede Menge toxischen Beziehungsstoff untergemischt, konzentriert er sich hier auf den Wahnsinn, der sich in ganz Amerika abspielt. Natürlich auf die absolute Spitze getrieben, wenn man die aktuellen Geschehnisse jedoch verfolgt, kann man sich vorstellen, dass es in so manchen Städten wie z.B. Chicago oder San Francisco zurzeit genauso abgeht. Gerade im ersten Drittel dreht er mit einem Fingerspitzengefühl der Extraklasse an der Panikschraube. Als Zuschauer spürt man förmlich die Zustände, die Beau durchleben muss. Vor allem als jemand wie ich, der in jungen Jahren alles andere als angstfrei durchs Leben geschritten ist, findet man sich selbst in Erinnerungen an ähnliche Situationen wieder, die Beau da so mitmacht. Ich kann zwar nicht beurteilen, ob das beim allgemeinen Publikum ebenso wirkt, aber zum Beispiel der Moment, wo Beau seiner Mutter über die Komplikationen vor dem Reiseantritt informieren muss, kamen mir verstörend bekannt vor.

Die große Kunst Asters liegt hierbei allerdings nicht in der Vermittlung der Angst, sondern darin, wie er diese Momente einen komödiantischen Drift verpasst. Welche urkomischen Szenen er da auf die Leinwand zaubert, sucht echt seines gleichen. Wie oft ich wirklich kopfschüttelnd in schallendes Gelächter ausgebrochen bin, weil ich einfach nicht mehr verarbeiten konnte, was da gerade auf der Leinwand vorsich geht, es ist fast magisch. Dazu kommt noch Asters berühmt berüchtigtes Händchen dafür, über den ganzen Film eine Flut an Hinweisen zu Streuen, die jedem Filmanalytiker wieder das Herz aufgehen lassen werden. Speziell im späteren Verlauf des fast dreistündigen Brockens von Film dreht er den Wahnsinn absolut auf Anschlag, wo der Ottonormalzuseher dann gar nicht mehr weiß, was gerade abgeht. Umso mehr freu ich mich jetzt schon auf die zahlreichen Interpretationen, die das Machwerk zulässt.

In die Rolle von Beau schlüpft Joaquin Phoenix, den man besser kaum casten hätte können. Sein Wesen, seine Stimme, sein Schauspiel, absolute Spitzenklasse. Jede einzelne Rolle findet ihren perfekten Darsteller und ihre perfekte Darstellerin. Und wie toll ist vor allem Amy Ryan, die viele von euch als Love-Interest von Michael Scott im amerikanischen Ableger von „The Office“ kennen werden?! Aber kommen wir nach all des Lobes mal zu den negativen Aspekten von „Beau Is Afraid“. Ich muss euch schließlich erklären, warum abschließend keine dicke, fette 10 von 10 als Wertung auf euch wartet.

Das liegt zum einen am Pacing des Films, das ab der Hälfte ordentlich ins Wanken kommt. Sobald sich Beau in einem Theaterstück verliert (ihr werdet schon wissen, was ich meine, wenn ihr den Film selbst seht), dreht der Regisseur zu sehr an der Irrsinnsschraube, nimmt dabei aber dermaßen das Tempo raus, das man sich wirklich durch den Rest des Films durchbeißen muss. Dass man zu dem Zeitpunkt sowieso nicht mehr weiß, was da gerade abgeht, hilft natürlich auch nicht. Vor allem dem Standard-Kinopublikum wird dann in Dauerschleife vor den Kopf gestoßen, was sogar in der Pressevorführung zu so vielen Walkouts geführt hat, wie ich es kaum noch erlebt habe. Am Ende wartet ebensowenig eine große Karotte der Aufklärung auf euch, sondern mit dem Finale haut Aster endgültig den Deckel drauf und lässt euch völlig verwirrt zurück. Kommen wir also zu einer abschließenden Warnung, bevor ich ins Fazit übergehe. Wenn für euch „Hereditary“ schon stinklangweilig war und „Midsommar“ euch noch weniger Freude bereitet hat, dann werdet ihr mit „Beau Is Afraid“ noch viel weniger glücklich. Stellt euch also dementsprechend auf ein langes, mitnehmendes Filmexperiment ein, dass ihr so schnell nicht vergessen werdet. Im Guten wie im Schlechten.

Fazit

Als ich nach fast drei Stunden aus der Pressevorführung getorkelt bin, war ich für eine fast ebenso lange Zeit nicht richtig ansprechbar, dermaßen überfordert, verwirrt und ausgelaugt hat mich „Beau Is Afraid“. Ohne euch zu viel zu versprechen, handelt es sich hierbei um einen der abgedrehtesten Filme, den ich je erleben durfte. Und ich hab bis auf „Dune“ David Lynchs Filmografie rauf und runter gesehen. „Durfte“ deshalb, weil ich dem Film gegenüber, trotz des vor allem überbordenden letzten Drittels, mehr als nur positiv gestimmt bin. Ich kann’s kaum erwarten mir den Irrsinn ein zweites Mal zu geben und die Reaktion meiner Freundin zu erleben. Holy Shit, Leute! Seid euch bewusst, worauf ihr euch hier einlasst. Wo Ari Aster drauf steht, ist auch jede Menge Ari Aster drin. Mit „Beau Is Afraid“ mehr denn je. Ob er damit übers Ziel hinaus schießt? Ich kann es euch NOCH nicht sagen, das wird sich beim zweiten und dritten Schauen zeigen. Von mir gibt’s eine absolute Empfehlung, sofern ihr bereit seid, euch auf einen richtigen Abfuck einzulassen, der euch ebenso zum Lachen und zum Schaudern bringen wird.

Kinostart: 11.05.2023

Pressematerial zur Verfügung gestellt von Constantin Film
Poster: 
© 2023 LEONINE

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